14. August 2006 – Der nächste Tag.

Wir stehen mit der Sonne auf und warten darauf, dass der Strom wieder funktioniert. Denn nur so kommt auch die Wasserpumpe in Gang. Nur ein wenig Wasser ins Gesicht, Zähne putzen mit Mineralwasser, mehr ist nicht drin.

 

 

 

 

 

 

 

Wir haben heute ein volles Programm, wollen wir uns doch Mangetti anschauen und am Mittag nach Tsumkwe weiterreisen. Nach dem wir einige Spielsachen, darunter besonders begehrte Fußbälle, Springseile und Mini-Autos für die Kinder verteilt haben, besuchen wir den Doktor in der Klinik in Mangetti. Vor der Tür der Klinik warten bereits viele Menschen. Die meisten geschwächt von ihrer TB- oder HI-Infektion, darunter viele Kinder. Eine Frau liegt im Schatten eines Baumes, sie sieht elend aus. Außer den beiden Schwestern der Klinik kümmert sich niemand um sie. Andere Menschen gehen achtlos vorbei.

 

 

„Doktor“ hat Sprechstunde. Sie wird an diesem Tag wieder alle Patienten behandeln. Wissend, dass vielen von ihnen nicht mehr zu helfen ist. Erträglich machen, dass ist oft das Einzige, was sie noch tun kann. Die Klinik hat schon bessere Tage gesehen, ist aber sehr sauber und erfüllt ihren Zweck. Das angrenzende TB-Zentrum ist fertig gestellt, die Wände sind frisch gestrichen, nur wird es noch nicht betrieben, weil es hier noch an Geld für die Einrichtung fehlt. Aber es wird bald losgehen, sagt zumindest „Doktor“, und sie hält immer, ein was sie sich vornimmt.

 

 

Das Waisenhaus ist sehr gepflegt. Die Wände sind geweißt, die Räume sind ordentlich. Ein Schlafzimmer für die kleinen Jungs (5) und eines für die Mädchen (3). Wir bringen noch einiges an Kinderkleidung mit und die Freude ist groß. Auf die Schnelle wechseln wir auch noch ein paar Glühbirnen aus, denn die hängen für die „kleinen“ Krankenschwestern etwas zu hoch. Die Kinder haben hier ein zwar bescheidenes Zuhause, aber sie haben doch alles was sie brauchen. Viele andere Menschen in Mangetti müssen nachts frieren, erreicht man doch im Winter auch hier in der Nacht Temperaturen im Minusbereich. Wir wollen noch eine Runde im Ort machen, denn man will uns ein Projekt vorschlagen, bei dem wir in Zukunft tätig werden sollen.

Das Dorf wirkt elend. Wie sollte es auch anders sein, denn Mangetti ist eine von der namibischen Armee verlassene Militär-Basis. Wildwuchs über aufgeplatzten Betonwegen, brachliegende Exerzierplätze, die vom Staub überzogen sind, Schotterwege und heruntergekommene und teilweise eingefallene Nutzbauten. In manchen leben Menschen, in manchen allerlei Getier. Dazwischen sieht man immer wieder Kralbauten der San, viele von ihnen wollen lieber in ihren traditionellen Strohhütten wohnen. Dass es in diesen weder Strom oder gar sanitäre Anlagen gibt, scheint logisch.

 

Heruntergekommene Jugendliche rauchen selbst gedrehte Zigaretten. Allerdings nehmen sie verdrecktes Zeitungspapier als Deckblatt und eine undefinierbare Mischung aus Holz und Kraut als Füllung. Dass diese übel riechenden Dinger krank machen, sieht man auf Anhieb. Sie sitzen in kleinen Gruppen herum und haben außer diesem „Luxus“ nichts. Sie tun auch nichts. Was sollten sie auch tun. Es gibt keine Arbeit in Mangetti, gibt keine Abwechslung, keine Unterhaltung. Jeden Tag dasselbe Nichtstun und warten auf den Abend. Junge Menschen die nur darauf warten älter zu werden, ohne zu wissen wofür und warum.

Man zeigt uns ein ehemaliges Lagergebäude. Es scheint ganz gut in Schuss zu sein. Das Dach scheint halbwegs neu, die Räumlichkeiten scheinen teils genutzt zu werden.
Eine Bäckerei möchte man eröffnen. Die erste in Mangetti. Einen Ofen habe man schon, und auch das andere einfache technische Gerät. Stolz zeigt man uns die Prachtstücke. Jeder deutsche Antiquitätensammler hätte beim Anblick der Geräte feuchte Augen bekommen. In Deutschland würde man damit niemals eine Konzession bekommen, dort aber reicht es aus, eine Existenz zu gründen. Wir lassen uns den Rest des Gebäudes zeigen. Hinter dem Haus möchte man auf einem großen Grundstück einen Gemüsegarten anlegen, das dort geerntete Gemüse soll, ebenso wie das gebackene Brot, in einem kleinem Laden verkauft werden. Auch dieser Laden soll in dem großen Gebäude entstehen. Bisher gibt es Mangetti nur einen kleinen Kiosk, dieser wird allerdings von Fremden betrieben und die Preise sind für die San utopisch hoch. Niemand könnte es sich leisten, dort etwas zu kaufen. Daher wollen sie jetzt selber produzieren und Handel betreiben.

Des Weiteren wird eine kleine Suppenküche für die Kinder und die Alten benötigt. So möchte man gemeinsam mit uns dort eine kleine Einrichtung unterbringen, in der jeden Tag 50 Menschen mit einer warmen Mahlzeit versorgt werden können. Gerade die Kleinsten und die schwachen alten Menschen haben oft Mangelerscheinungen wegen Unterernährung.

Ein anspruchsvolles Projekt, welches unterstützungswürdig ist. Hilfe zur Selbsthilfe. Von Personen aus Mangetti, für Menschen von dort, durch Menschen vor Ort. Die Bereitstellung der Gerätschaften, des Materials zur Umzäunung des Areals, des Saatgutes und der Handwerksmittel haben wir direkt zugesagt. Über die andere Unterstützung werden wir in den nächsten Tagen beraten.
Am Mittag setzen wir unsere Reise nach Tsumkwe fort.

Tsumkwe

Wir erreichen Tsumkwe gegen 12:00 Uhr Mittag. Die Straße, die hierher führt ist mehr eine Schotterpiste, aber wir erreichen unser Ziel sicher und zeitnah. Wir wollen die Hand in Hand for Children-Kinderklinik besuchen, die wir vor einigen Monaten eröffnen konnten.

 

 

 

Als wir die Ortseinfahrt erreichen, wundern wir uns. Eine geteerte Straße? Straßenarbeiter mit schwerem Gerät? Zwei ganz neue Gebäude, sogar aus Stein!? Was ist denn hier los!? Wir fahren etwas ungläubig in die Ortsmitte. Sehen sogar einen riesigen Sendemast! Sendemast? Tatsächlich, es wird doch nicht etwa sogar Netzempfang fürs Handy geben? Das wäre wirklich etwas ganz Neues, haben wir doch extra ein Satellitentelefon eingepackt. Wir stellen die Handys an. Siehe da, wir haben Netz, zumindest im Umkreis von ein paar Kilometern um den kleinen Ort! Nun hält die Zivilisation in Form von Technologie und Kommunikation, doch Einzug ins Land der Buschmänner. Wir wissen nicht, ob wir uns freuen oder ob wir traurig sein sollen. Nu denn, da ist er, der Fortschritt.

 

 

 

 

 

Als wir vor der Klinik vorfahren, freuen wir uns über die gute Optik der Klinik, alles ist äußerst gepflegt. Wir werden von Wilhelmina begrüßt, der zauberhaften Stationsleiterin, die sich mit so viel Hingabe um die Menschen aus dem Buschland und das kleine Krankenhaus kümmert. Wilhelmina ist selbst eine San, eine der Wenigen, die in Windhoek zur Schule gegangen ist und später in eine Ausbildung zur Krankenschwester gemacht hat. Sie hätte natürlich jederzeit auch in der Großstadt eine Anstellung mit besserem Gehalt und netter Wohnung im Zentrum von Windhoek bekommen können! Aber nein, sie hatte, als sie damals ging, versprochen, dass sie wiederkommen werde und sich für ihre Leute, die San, einsetzen werde. Und so hat sie Wort gehalten und kümmert sich nun um Alte, Kranke und vor allen Dingen auch um die Kinder, die mit den verschiedensten Erkrankungen zu ihr kommen.

 

Die Hand in Hand for Children-Klinik ist fester Anlaufpunkt für hunderte San aus der weitläufigen Region. Viele San-Dörfer liegen über 80 Kilometer entfernt, im Notfall mussten die Menschen bis zum letzten Jahr diese Entfernung zu Fuß zurücklegen. Viele Erkrankte oder Verletzte starben auf dieser unglaublich langen Strecke. Daher hat der Verein einen Krankenwagen und einige Fahrräder für diese Menschen gekauft. Sie fragen sich, warum Fahrräder!? Ganz einfach. Im Notfall kann ein Verwandter oder Dorfmitbewohner mit dem Fahrrad zur Klinik fahren, um dort den Krankenwagen anzufordern. Handys sind bis heute im Busch nicht funktionstüchtig und auch reguläre Telefonanschlüsse gibt es logischerweise in den Kraldörfern nicht. Der Krankenwagen kann den Patienten nun abholen und zur Erstversorgung in die Klinik bringen. Die San machen oft Gebrauch von diesem Angebot und wir konnten so sicherlich schon einige Menschenleben retten.

Die Verbesserung der Lebenssituation der San liegt uns besonders am Herzen. Gerade die Kinder, die hier aufwachsen, sollen eine Perspektive im Leben erhalten. Hierzu gehört in erster Linie Gesundheit und Bildung. Beides ist untrennbar miteinander verknüpft und zwingende Voraussetzung. Aus diesem Grunde haben wir jetzt 30 Solar-Radios in die verschiedenen San-Dörfer gebracht. Solar-Radios, die sich durch Sonnenlicht oder alternativ durch einen Kurbeldynamo mit Strom versorgen lassen. Über diese Radios können die San zukünftig nun mit wichtigen Informationen in ihrer eigenen Sprache versorgt werden. Da die meisten San nur ihren eigenen Dialekt sprechen, der sich aus verschiedenen „Klick-Lauten“ zusammensetzt, muss das Radioprogramm von Landsleuten gestaltet und gesprochen werden.

 

Die San werden von Landsleuten ab sofort mit 15 Stunden Programm am Tag versorgt. Über diese speziellen Radiosendungen der NBC, die aus einem kleinen Studio in Tsumkwe gesendet wird, werden die Menschen nun über Impfzeiten in der Hand in Hand for Children-Klinik, über Risiken von HIV, TB, Krebs oder Malaria informiert. Sie werden einen Wetterbericht bekommen, werden über politische Veränderungen in Bezug auf ihre Lebensumstände informiert, ebenso werden sie Aufklärung in Sachen Sexualität erhalten. Auch nahende Gefahren wie Buschbrände, größere Ausbringung von Pestiziden zur Ungezieferbekämpfung im Buschland oder Ähnliches werden über die Radios publik gemacht.

 

Viele San haben das erste Mal ein Radio in der Hand und es war erfreulich zu sehen, wie positiv, insbesondere die jungen Menschen, diese Technik angenommen haben. Mit dem Verteilen der Radios ist ein kleiner Schritt hin zur Informationsgesellschaft gemacht, der die San über ihre Möglichkeiten und Rechte informiert und langfristig ihre Situation verbessern wird.

Die Solar-Radio haben wir übrigens freundlicherweise von Electronic-Conrad, dem bekanntesten Elektronikversender in Deutschland, kostenlos zur Verfügung gestellt bekommen. Dafür noch einmal vielen Dank!

Nachdem wir uns bei dem Sendeleiter des San-Radio (NBC) vorgestellt haben und ihm berichteten, dass wir die 30 Radios an die verschiedenen Dörfer verteilen werden, zeigte er sich über die Maßen erfreut. Er bot uns an, uns bei unserer Arbeit zu unterstützen, wo immer er kann. Daher haben wir gebeten, dass Dr. Melitta Bossart und Wilhelmina regelmäßig über ihre Sprechzeiten und Fahrten in die einzelnen Regionen im Vorfeld berichten können. Ebenso werden beide Damen sich verstärkt im Bereich der medizinischen Aufklärung und damit der Prävention zu Wort melden. Wir sind der NBC sehr dankbar, dass man unkonventionell eine so wichtige Zusammenarbeit zum Wohle der Menschen dort angeboten hat.

 

Am späten Nachmittag verlassen wir Tsumkwe wieder, mit dem guten Gefühl, dass es hier, wenn auch in kleinen Schritten, vorangeht.