13. August 2006


05:00 Uhr morgens, wir bereiten uns auf die Abfahrt in den Norden Namibias vor.

Es geht nach Tsumkwe und Mangetti, in das Land der San. Die San sind ein vom Aussterben bedrohtes Urvolk, das unter dem Einzug der so genannten Zivilisation, mit allen gravierenden Begleiterscheinungen wie Alkoholismus, Tuberkulose oder Aids, leidet.

Die Menschen wurden aus ihren ursprünglichen Lebensweisen herausgedrängt, die Jagd allein kann sie nicht mehr ernähren. Auf Grund der Tatsache, dass die San in entlegenen Regionen leben, ihre kleinen Kraldörfer weit verstreut auseinander liegen und Telekommunikation bis vor einigen Monaten nur mit Satelittentelefonen möglich war, sind sie mit all ihren Problemen lange in Vergessenheit geraten. Erst seit neuestem kümmert sich auch die Regierung mit Nachdruck um diese Schicksale.

Wir besteigen bei Sonnenaufgang unseren Jeep, es liegen 850 Kilometer Straße, Sandwege und Schotterpisten vor uns. Für alle Fälle haben wir Zelte, ausreichend Wasser und Überlebensrationen Lebensmittel eingepackt. Der Weg ist mühsam und die letzten 200 Kilometer sind nicht ganz ungefährlich. Es geht in den ursprünglichen Busch. Wilde Tiere, Schlangen und keine Möglichkeit Hilfe zu holen, sollte wirklich etwas passieren. Die Anspannung ist hoch, die Vorfreude auf die Hand in Hand for Children-Klinik in Tsumkwe aber größer.

Zuvor wollen wir aber noch in Mangetti vorbeischauen und unserer Freundin Dr. Melitta Bosshart (liebevoll nur „Doktor“ genannt) und ihren 8 Waisenkindern einen Besuch abstatten.

 

Als wir dann nach 9 Stunden Fahrt, gerade noch mit der untergehenden Sonne, in Mangetti ankommen, sind wir eigentlich todmüde. Fröhliches Kinderlachen ist das Erste, was wir wahrnehmen, als wir an dem Haus von Melitta Bosshart vorfahren. Eine Heerschar Kinder empfängt uns und wir werden direkt in Beschlag genommen. Natürlich zum Spielen und Kuscheln. Da war dann unsere Müdigkeit natürlich schlagartig verflogen.

Selten habe ich so herzliche und offene Kinder erlebt, sie strahlen alle etwas Gutes aus, es war eine wahre Freude. Kaum vorstellbar, dass alle diese Kinder Waisen sind, einige von ihnen HIV-infiziert, andere mit TB angesteckt. Es muss an Dr. Melitta Bosshart liegen, dass diese Kinder so wunderbar sind, wie sie uns erscheinen. Sie ist Mutter, Lehrerin, Freundin für diese Jungs und Mädchen zwischen zwei und vierzehn Jahren, aber gleichermaßen Vater und unangefochtene Autoritätsperson. Liebe und Respekt sind die Basis auf der diese kleine Familie funktioniert.

Seit 17 Jahren ist Dr. Bosshart im Buschmannland, das etwa halb so groß ist wie die Schweiz.
Melitta Bosshart stammt eigentlich aus der Gegend von Genf und lebt dort fernab von unserer Zivilisation in einem einfachen Haus. Doktor ist die einzige Europäerin in weitem Umkreis. Sie arbeitet für das namibische Gesundheitsministerium und ist sowohl für das Spital in Mangetti als auch für die Kliniken in Gam, Tsumkwe und Omatako verantwortlich. Insgesamt betreut sie über 60 San-Dörfer, ein unfassbarer Arbeitsaufwand, zumal sie hunderte Kilometer auf Ihren „Hausbesuchen zurücklegen muss. Eine besonders hohe Gewichtung ihrer Arbeit legt Dr. Bosshart auf Prophylaxe durch Gesundheitserziehung. Sie befasst sich allerdings auch mit der Naturheilkunde und übernimmt hierbei altes Wissen der San.

Tuberkulose ist das größte Gesundheitsproblem in der Region. Die Bekämpfung wird nun mit einem speziellen TB-Team, das die Patienten in den Dörfern regelmäßig kontrolliert, intensiviert. Durch Spenden von Freunden, Familienangehörige und Besuchern konnte das kleine Waisenhaus für „ihre“ Kinder, ein Kindergarten sowie eine TB-Station gebaut werden. Unser „Doktor“ hat hier Gewaltiges geleistet! Und in Deutschland spricht man erschöpfend darüber, wie man als Frau im Beruf die Kindererziehung ermöglicht. Mein Vorschlag, fahren sie nach Mangetti und besuchen sie diese unglaubliche Frau. Sie würden sich diese Frage nie wieder stellen.

Wir werden vom „Doktor“ wie alte Freunde aufgenommen und nach dem Abendessen, das bis 20 Uhr zubreitet sein musste, weil danach der Stromgenerator in Mangetti über Nacht ausgestellt wird, haben wir uns noch lange über die Situation an ihren Kliniken und die Kinder gesprochen.

Ein Mädchen fiel mir besonders auf. Sie hatte wunderschöne große, aber leider auch sehr traurige Augen. Sie war das einzige Kind, welches sich scheu und fast ängstlich von uns fernhielt. Ich fragte „Doktor“ was denn mit diesem Mädchen sei und die Antwort hat mich zutiefst erschrocken. Sie sei 12 Jahre alt, wusste „Doktor“ zu berichten, und sie sei im Dezember letzten Jahres aus ihrem Heimatdorf entführt und verschleppt worden. Sie wurde vergewaltigt und ist seitdem HIV-positiv. Als die Eltern erfuhren, dass ihr Kind keine Jungfrau, und zu allem Übel nun auch noch krank sei, wurde sie verstoßen. So viel Elend macht sprachlos. Es ist doch ein Wahnsinn, dass Menschen auf Grund mangelnder Bildung und Aufklärung immer noch den alten Riten ihres Volkes folgen und dem Irrglauben erliegen, dass, wenn sie mit einer Jungfrau schlafen, alle Krankheiten von ihnen genommen werden. Dieser Irrsinn hat das Leben dieses Mädchens für immer zerstört. Körperlich, aber auch seelisch. Dr. Melitta Bosshart zögerte keine Sekunde, sich dieses Kindes anzunehmen. Gott sei Dank!

Wir haben diese Nacht sehr oft geschwiegen!